Cyanistes caeruleus (LINNÉ, 1758 Syn.: Parus caeruleus)
Blaumeise – Foto: Frank Derer, NABUJeder kennt sie, die kleinste der einheimischen Meisenarten innerhalb der artenreichen etwa 50 Arten umfassenden Familie der Meisen (Paridae). Der Kleinvogel ist mit seinem blau-gelben Gefieder einfach zu bestimmen und in Mitteleuropa sehr häufig anzutreffen. Bevorzugte Lebensräume sind Laub- und Mischwälder mit hohem Eichenanteil; sie ist auch häufig in Parkanlagen und Gärten zu finden. Außer in Europa kommt sie in Nordafrika und auf den Kanarischen Inseln vor. Die Population der Kanaren wird oft auch als eigene Art angesehen (Afrikanische Blaumeise, Cyanistes teneriffae). Die Blaumeise bevorzugt tierische Nahrung, vor allem Insekten und Spinnen. Außerhalb der Fortpflanzungsperiode steigt die Bedeutung von Sämereien und anderer pflanzlicher Kost. Beim Nahrungserwerb fällt die Blaumeise durch ihre Geschicklichkeit auf, sie kann sich an die äußersten Zweige klammern und auch kopfüber hängend nach Nahrung suchen. Blaumeisen brüten meist in Baumhöhlen, auch Nistkästen werden häufig angenommen. Der Hauptkonkurrent um Bruthöhlen und bei der Nahrungssuche ist die größere Kohlmeise. Die Blaumeise ist mit einer Körperlänge von knapp zwölf Zentimetern deutlich kleiner als die Kohlmeise. Die hellblauen Gefiederpartien am Kopf und auf der Oberseite treten in Mitteleuropa bei keinem anderen Singvogel auf und erlauben so eine einfache Bestimmung. Jungvögel sind bis in den Herbst ihres ersten Kalenderjahres an der blassgelben Färbung im Kopfbereich zu erkennen, da der Wechsel des Kopfgefieders erst am Ende der Jugendmauser einsetzt, die von Mitte Juli bis Ende Oktober des Schlupfjahres stattfindet. Auch nach der Jugendmauser sind sie am deutlichen Farbunterschied von den Altvögeln zu unterschieden.
Die Jahresmauser der Altvögel ist eine postnuptiale („nach der Hochzeit stattfindende“) Vollmauser und setzt im Mittel sechs Wochen vor der Mauser der Jungvögel ein. Der Anfang der Mauser fällt meist noch in die Phase der Jungenaufzucht. Der gesamte Wechsel nimmt 115 bis 120 Tage in Anspruch, was für einen Vogel dieser Größe ungewöhnlich lange ist. Ein geringer Geschlechtsdimorphismus ist in einigen Merkmalen vorhanden, dadurch lassen sich jedoch nicht alle Individuen eindeutig zuordnen. Daneben weist das Gefieder eine sehr ausgeprägte, für das menschliche Auge nicht sichtbare Musterung im ultravioletten Bereich auf. Diese Farbvariationen spielen bei der Partnerwahl offensichtlich eine Rolle. Mittlerweile wurde auch bei vielen anderen Vogelarten nachgewiesen, dass ultraviolettes Licht wahrgenommen werden kann und bei solchen Arten auch das Gefieder ein Reflexionsmaximum im ultravioletten Bereich aufweist. Dabei hat sich aber als Besonderheit herausgestellt, dass die Blaumeisen eine Art „chiffrierten“ Sexualdimorphismus zeigen, denn im ultravioletten Spektrum des Lichts sind die Geschlechter im Gegensatz zum sichtbaren Bereich deutlich zu unterscheiden. Die Brutbiologie ist der am besten untersuchte Aspekt der allgemein sehr gut erforschten Art. Dabei ist zu beachten, dass meistens nistkastenbrütende Populationen untersucht wurden. Wie die meisten Kleinvögel erreichen Blaumeisen die Geschlechtsreife noch vor Vollendung des ersten Lebensjahres.
Bereits ab Mitte Januar verdrängen schon einige Männchen potentielle Konkurrenten aus der Nähe eines von ihnen begleiteten Weibchens. Der zu dieser Zeit bereits einsetzende Reviergesang des Männchens richtet sich nicht nur an Konkurrenten, sondern auch an die Partnerin. Das sich anschließende auffällige Ritual des „Höhlenzeigens“ dient der weiteren Verstärkung der Paarbindung und der sexuellen Stimulation. Nachdem man ursprünglich bei den meisten Meisenarten von saisonaler Monogamie ausgegangen war, konnte bei einer genetischen Untersuchung nachgewiesen werden, dass 20 Prozent der Männchen polygyn waren und 35 Prozent der Weibchen in derartigen Partnerschaften lebten. Daneben traten auch außerpartnerschaftliche Kopulationen auf. Trotz der Bewachung des Weibchens durch das revierhaltende Männchen waren rund 6 Prozent der Nestlinge auf Paarungen mit einem anderen als den revierhaltenden Partner zurückzuführen. Wie bei den anderen verwandten Meisenarten bebrütet bei der Blaumeise ausschließlich das Weibchen das Gelege, das Männchen verteidigt das Revier und setzt das Balzfüttern fort. Die Brut beginnt im Regelfall nach Ablage des letzten Eies und dauert zwischen 12 und 17 Tagen.
Das Ausfliegen scheint an keine bestimmte Tageszeit gebunden zu sein, eine Tendenz zu den Stunden des Vormittags wurde aber beobachtet. Die Jungvögel fliegen meist recht zügig hintereinander aus, in Richtung nahe gelegener, dichter Vegetation. Auch außerhalb der Bruthöhle werden die Jungvögel weiter gefüttert. Es wird angenommen, dass die Mortalität im ersten Lebensabschnitt sehr hoch ist, derartige Untersuchungen sind jedoch schwierig, da die selbstständigen Jungvögel meist vom unmittelbaren Brutort abwandern.
Blaumeisen beginnen den Tag früher als Kohlmeisen und bleiben auch am Abend länger aktiv. Sowohl in der Brutsaison als auch im Winter verbringen Blaumeisen einen Großteil ihrer Zeit mit der Nahrungssuche, im Mittwinter sind es ungefähr 85 Prozent der aktiven Zeit. Die Blaumeise ist innerhalb des Verbreitungsgebiets Standvogel oder auch Teilzieher, wobei die Dismigration recht stark ausgeprägt ist, vor allem bei Jungvögeln. Das Wander- und Zugverhalten kann innerhalb weniger Generationen wechseln. Auch zeigen die Individuen einer Population oft eine sehr unterschiedliche Zugbereitschaft. Die Geburtsorttreue scheint relativ gering ausgeprägt, allerdings ist umstritten, ob die äußerst geringe Fangrate nestjung beringter Vögel am Geburtsort auf Dismigration oder hoher Mortalität beruht. Die Vögel dismigrieren ungerichtet, Weibchen entfernen sich durchschnittlich weiter vom Geburtsort als Männchen. Bei einer Untersuchung in Braunschweig wurde festgestellt, dass sich über 90 Prozent der Vögel in einer Entfernung von weniger als drei Kilometern von der Geburtsstätte ansiedeln.
Die traditionelle Untergliederung der etwa 50 Arten umfassenden Familie der Meisen war sehr unausgewogen, denn alle Arten wurden in einer einzigen Gattung zusammengefasst, der Gattung Parus. Morphologische sowie verhaltensbiologische Unterschiede und später auch molekularbiologische Befunde legten eine Aufteilung der Gattung nahe. Eine 2005 durchgeführte molekulargenetische Untersuchung der Verwandtschaftsbeziehungen der Meisen, die die mitochondriale Gen-Sequenz des Cytochrom-b-Gens analysierte, führte zur Anerkennung einer Aufteilung der Gattung Parus in unterschiedliche Gattungen. Die Blaumeise weist eine große Variabilität in vergleichsweise begrenztem Verbreitungsgebiet auf. Die 14 bis 16 unterschiedenen Unterarten werden dabei in zwei Gruppen eingeteilt, die größere davon ist in Europa heimisch und wird als caeruleus-Gruppe bezeichnet. Die andere Gruppe bilden die Blaumeisen der Kanaren und Nordafrikas, traditionell als teneriffae-Gruppe bezeichnet. Auch heute noch ist die Blaumeise ein bevorzugtes Forschungsobjekt, nicht zuletzt, da ihre brutbiologischen Variablen in Nistkästen gut zu kontrollieren sind, und die Art menschliche Nähe nicht scheut.
Literatur:
- de.wikipedia.org › wiki › Blaumeise
- www.nabu.de ›… › Stunde der Gartenvögel › Vogelporträts
- Der Kosmos Vogelführer, Lars Svenson
Dr. Eckhard Holtorf, Institut für Tierökologie, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, Außenstelle Alter Bahnhof Schapen.